Elektrisch variable Polymerlinsen für kompakte und schnelle Fokussieranwendungen

Datum: Oktober 2012
Publiziert von: Photonik.de
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von Selina Pekarek und  Mark Blum, Optotune AG, Dietikon, Schweiz

Durch den zusätzlichen Freiheitsgrad der einstellbaren Brennweite erlauben fokusvariable Linsen das Design optischer Systeme kompakter und typischerweise mit weniger mechanischen Teilen zu gestalten. In diesem Artikel werden fokusvariable Polymerlinsen vorgestellt, die sich besonders durch einen weiten Brennweitenbereich bei gleichzeitig großer Öffnung und schneller Fokussiergeschwindigkeit auszeichnen. Anwendungen reichen von der Materialbearbeitung über maschinelles Sehen bis zur Medizintechnik.

1 Einleitung

Linsen mit abstimmbarer Brennweite ermöglichen kompaktere Fokussiersysteme im Vergleich zu klassischen Systemen. In herkömmlichen optischen Designs wird die Brennweite durch Verschieben von Linsengruppen geändert, wozu kostspielige mechanische Aktuatoren benötigt werden. Mit fokusvariablen Linsen können jedoch die gleichen optischen Effekte ohne translatorische Bewegungen erzeugt werden, indem die Krümmung der Linsen verändert wird. Das Gesamtsystem wird kompakter und oftmals kann auch die Anzahl der Linsen reduziert werden. Dadurch resultiert ein robusteres und leichteres Design, wodurch zudem die Energieeffizienz verbessert werden kann.

In diesem Artikel präsentieren wir einen fokusvariablen Polymerlinsentyp, dessen Hauptbestandteile eine optische Flüssigkeit und eine dünne, elastische Polymermembran bilden. Vorteile gegenüber anderen Technologien fokusvariabler Linsen liegen in den großen Abstimmbereichen der Brennweite in Kombination mit großen Aperturen. Zudem lassen sich die Linsen bei niedrigen Spannungen betreiben, sind hysteresefrei und weisen kurze Antwortzeiten im Bereich von Millisekunden auf.

2 Formveränderliche Polymerlinsen

Die elektrisch fokusvariable Linse ist eine formveränderliche Linse, bei der elastische Polymermaterialien verwendet werden. Der Kern der Linse besteht aus einem Container, der mit einer optischen Flüssigkeit gefüllt und mit einer dünnen Membran abgedichtet ist (Bild 1). Ein elektromagnetischer Aktuator im Gehäuse der Linse steuert einen Ring der Druck auf den Container ausübt. Durch Erhöhung des Drucks wird mehr Flüssigkeit ins Linsenvolumen gedrückt und die Membran wölbt sich. Mit diesem Prinzip wird die Brennweite einzig durch Änderung des angelegten Stroms über die Krümmungsänderung der Linse gesteuert. Im Unterschied zu anderen Technologien abstimmbarer Linsen kann die Brennweite auch bei verhältnismäßig großen Aperturen über einen weiten Bereich elektrisch abgestimmt werden [1]. Beispielsweise kann bei einer Linse mit 10 mm freier Öffnung die Brennweite zwischen 20 mm und 120 mm eingestellt werden (Bild 2). Die typische Beziehung zwischen der Schnittweite und der Stromstärke für verschiedene Polymerlinsenmodelle ist in Bild 3 gezeigt. Die Fehlerbalken kennzeichnen die Standardabweichung von Linse zu Linse. Aufgrund dieser Abweichungen ist bei Aufbauten ohne Rückkopplungssystem eine erstmalige Kalibration der Linse nötig. Die Polymerlinsen sind jedoch komplett hysteresefrei. Die Linse kann bei niedrigen Spannungen unter 5 V und bei Stromstärken zwischen 0 mA und 300 mA betrieben werden. Höhere Stromstärken entsprechen dabei kürzeren Brennweiten. Der Startwert, also die Fokallänge der Linse falls kein Strom angelegt ist, kann während der Produktion eingestellt werden und ist maximal 500 mm.

Zudem besteht die Möglichkeit, durch den Aufbau der Linse sowie die Wahl verschiedener optischer Flüssigkeiten und Membraneigenschaften, die Brennweitenbereiche an die Anforderungen der jeweiligen Anwendungen individuell anzupassen. Somit kann z.B. ein Bildgebungssystem mit der gewünschten fokusvariablen Linse entworfen werden, ohne das System auf Basis von zur Verfügung stehender Standardlinsen zu entwerfen. 

Standardmässig werden je nach Anwendungsgebiet zwei unterschiedliche Flüssigkeiten verwendet. Diese unterscheiden sich bezüglich des Brechungsindex und der Dispersion. Die sogenannte ”low dispersion“ (LD) Flüssigkeit weist eine Abbezahl von 100 und einen Brechungsindex von 1,3 auf (bei 589 nm). Die ”high refractive“ (HR) Flüssigkeit besitzt einen höheren Brechungsindex von 1,559 mit einer Abbezahl von 32.

3 Optische und mechanische Eigenschaften

Für den Einsatz der fokusvariablen Polymerlinsen sind die optische Qualität sowie die mechanischen Eigenschaften wie Fokussiergeschwindigkeit oder Zerstörschwelle von großer Bedeutung. Diese Spezifikationen entscheiden darüber, in welchen Bereichen konventionelle Linsensysteme durch formveränderliche Linsen ersetzt oder ergänzt werden können.

3.1 Wellenfrontfehler   

Bild 4 zeigt den RMS-Wellenfrontfehler einer abstimmbaren Linse mit 6 mm freier Öffnung in Abhängigkeit von ihrer Schnittweite in beiden Orientierungen. Die Schnittweite ist dabei die variable Entfernung vom Gehäuse zum Brennpunkt. Wenn die Linse in stehender Position (horizontale optische Achse) verwendet wird, verursacht die Schwerkraft eine Asymmetrie und dadurch einen Komafehler. Mit einer optimierten Membran kann jedoch auch in dieser Orientierung eine hohe optische Qualität erreicht werden. Beispielsweise ist der Einfluss der Schwerkraft auf eine stärkere Membran schwächer, jedoch wird der erreichbare abstimmbare Brennweitenbereich der Linse damit auch kleiner. In liegender Position weist die Linse einen RMS-Wellenfrontfehlerwert von lediglich 0,09  auf (bei 10 Dioptrien). Dieser Wert liegt aufgrund der Schwerkraft in aufrechter Position bei 0,13 .

3.2 Fokussiergeschwindigkeit

Die Polymerlinsen eignen sich aufgrund der kurzen Antwortzeiten für dynamische Anwendungen, in denen hohe Fokussiergeschwindigkeiten benötigt werden. Der elektromagnetische Aktuator erlaubt eine sehr schnelle Volumenveränderung in der Linse und somit eine schnelle Veränderung der Brennweite. In Bild 5 ist die Reaktion zweier Polymerlinsen mit 6 mm und 10 mm freier Öffnung auf einen Stromschritt abgebildet. Die Anstiegszeiten für die Linsen liegen zwischen 2 und 3 ms (je nach Grösse der Linse). Nach einem Stromschritt benötigt die Linse etwa 10 ms bis ein stabiler, oszillationsfreier Zustand erreicht ist.

3.3 Transmission und Zerstörschwelle

Die eingesetzten Flüssigkeiten und Membranmaterialien weisen eine niedrige Absorption im Wellenlängenbereich von 250 nm bis 2000 nm auf. Da die elastische Membran nicht antireflexionsbeschichtet werden kann, ist die maximal erreichbare Transmission der Polymerlinsen beschränkt auf 96 - 97%. Bild 6 zeigt die Transmissionsspektren für die Polymerlinse mit der LD-Flüssigkeit für unterschiedliche, breitbandig beschichtete Deckgläser. Zerstörschwellentests wurden sowohl im Dauerstrichbetrieb als auch mit gepulsten Lasern durchgeführt. Bei Leistungsdichten von 2,2 kW/cm2, respektive Energiedichten von 10 J/cm2, wurden keine Beschädigungen der Linse festgestellt. Die effektive Zerstörschwelle konnte auf Grund der limitierten Leistung der zur Verfügung stehenden Laserquellen nicht bestimmt werden.

3.4 Thermische Eigenschaften

Bei hohen Intensitäten kann die verbleibende Absorption dazu führen, dass sich die Linse aufwärmt. Als Folge dessen weitet sich die optische Flüssigkeit aus und die Brennweite der Linse ändert sich. Im Gegensatz zu einer konventionellen Glaslinse lässt sich die Brennweitenänderung aufgrund der Erwärmung leicht korrigieren: dazu besitzt die Linse einen integrierten Temperatursensor. Mit einem optischen Rückkopplungssystem lässt sich der Temperatureinfluss ausgleichen und eine konstante Brennweite bei Temperaturschwankungen erreichen.

4 Vielfältige Anwendungsbereiche

Verschiedene Anwendungen profitieren von den oben erwähnten Vorteilen elektrisch abstimmbarer Polymerlinsen um kompakte, robuste und schnelle Fokussiersysteme zu ermöglichen. Beispiele solcher Anwendungen werden im Folgenden vorgestellt.

4.1 Lasermaterialbearbeitung

Dank der hohen Zerstörschwelle der fokusvariablen Polymerlinsen können diese zur Materialbearbeitung verwendet werden. In Bild 7 ist ein Aufbau für ein Scanningsystem mit einer elektrisch abstimmbaren Polymerlinse, Galvospiegeln und einer F-Thetalinse gezeigt. Die Strahlgröße des verwendeten Lasers kann mit Hilfe eines Strahlaufweiters gegebenenfalls angepasst werden. Desweiteren besteht das optische System aus einer Linsenkombination der abstimmbaren Linse und einer konkaven Linse mit einer festen Brennweite. Die elektrisch abstimmbare Linse ist eine Sammellinse mit einer ausschliesslich positiven Brennweite. Eine negative Brennweite wird in Kombination mit einer Offsetlinse erreicht. Durch Änderung der Brennweite der abstimmbaren Linse wird der Divergenzwinkel nach der Linsenkombination variiert. Zusammen mit der fokussierenden F-Thetalinse am Ende des optischen Systems wird eine Veränderung der z-Position des Fokus von z.B. 150 mm erreicht. Lediglich eine Änderung des angelegten Stroms um etwa 50 mA verursacht diese Fokusverschiebung. Im Gegensatz dazu muss in konventionellen Aufbauten entweder eine Linse oder die Objektebene mechanisch verschoben werden. Typischerweise ist eine mechanische Translation technisch aufwändiger, benötigt mehr Zeit und ist weniger verlässlich. Hinter der Linsenkombination wird die Strahlrichtung mit Galvospiegeln gesteuert. Zusammen mit der F-Thetalinse kann der Strahl überall in der x-y-Ebene fokussiert werden. Mit dem beschriebenen Aufbau kann die Position des Fokus in allen drei Raumrichtungen kontrolliert werden und dies mit einem minimalen Aufwand an Mechanik und mit hoher Geschwindigkeit und Präzision.

4.2 Maschinelles Sehen

Auch Abbildungsanwendungen wie maschinelles Sehen (z.B. Qualitätskontrolle, Paketsortierung oder Barcodeleser) und Mikroskopie profitieren von abstimmbaren Linsen um flexible und schnelle Fokussier- und Zoomlösungen realisieren zu können. Wiederum wird im Gegensatz zu herkömmlichen Technologien keine bewegende Mechanik zur Brennweitenänderung benötigt. Das optische System kann daher kompakter und robuster realisiert werden. Ein möglicher Aufbau für maschinelles Sehen mit einer verstellbaren Linse besteht aus einer elektrisch abstimmbaren Polymerlinse, einem Fixlinsen-System und einer Kamera. Mit einem solchen Design ist es möglich den Fokus elektrisch für unterschiedliche Arbeitsabstände von z.B. 100 mm bis ins Unendliche innerhalb von wenigen Millisekunden einzustellen. 

Bild 8 zeigt die optische Qualität einer Kombination aus einer Kamera mit einem ½“-Sensor, eines Objektivs mit einer festen Brennweite von 25 mm und einer elektrisch abstimmbaren Linse mit integrierter Offset-Linse. Eine gute optische Qualität wird sowohl bei einem Arbeitsabstand von 200 mm als auch bei 400 mm erreicht. Gezeigt ist die polychromatische Modulationstransfer-Funktion für den sichtbaren Wellenlängenbereich mit den tangentialen (T) und sagittalen (S) Werten für verschiedene Feldpunkte (Zentrum, mittleres Feld und maximales Sensorformat) mit einer Blendenzahl von 3,7. 

4.3 Mikroskopie

In der Mikroskopie werden kompakte und elektrisch kontrollierbare Fokussierlösungen mit kurzen Antwortzeiten benötigt. Zusätzlich zu den bereits erwähnten Nachteilen konventioneller Fokussiersysteme kann in der Mikroskopie eine mechanische Verschiebung des Probentisches zu einer Beeinträchtigung der Probe führen. Mit abstimmbaren Polymerlinsen sind grosse Brennweitenänderungen in kurzer Zeit möglich ohne die Nachteile mechanischer Verschiebung in Kauf nehmen zu müssen. In einem Zwei-Photonen-Mikroskop, das mit einer fokusvariablen Polymerlinse realisiert wurde, konnte eine axiale Fokusverschiebung von 700 µm und eine Antwortzeit von 15 ms erreicht werden [3]. 

4.4 Ophthalmologie

In ihrer Funktionsweise gleicht die fokusvariable Polymerlinse dem menschlichen Auge. Tatsächlich können im Bereich der Ophthalmologie mit solchen Linsen kompakte, präzise und schnelle Untersuchungsgeräte gebaut werden. Standardmäßig werden in ophtalmologischen Geräten verschiedene Linsen und unterschiedliche Brennweiten durch manuelles Austauschen und Verschieben einer oder mehrerer Linsen realisiert. Damit wird schließlich die gewünschte Korrektur erreicht. Mit fokusvariablen Linsen kann eine solche Korrektur mit einer einzigen Linse erreicht werden. Zudem kann die Einstellung kontinuierlich, präzise und in Echtzeit erfolgen. Fokusvariable sphärische Polymerlinsen mit einer bis zu 35 mm grossen Apertur und einer optischen Brennkraft von -20 bis +20 Dioptrien lassen sich derzeit einsetzen. Des Weiteren ist es auch möglich, zylindrische Linsen zu realisieren; dies mit einer Aperturgrösse bis zu 20 mm und einer Brennkraft von -10 bis +10 Dioptrien.

5 Fazit

Fokusvariable Linsen können in vielen unterschiedlichen Bereichen von Optik-Anwendungen bestehende Systeme verbessern oder sogar den Weg für neue Technologien ebnen. Die abstimmbaren Linsen ermöglichen kompakte Fokussierlösungen und ersetzen komplexe Linsensysteme wodurch auf aufwändige Mechanik verzichtet werden kann.

Bei den Polymerlinsen sind besonders die schnellen Antwortzeiten, große Brennweitenbereiche, gute optische Qualität und hohe Zerstörschwellen hervorzuheben. Die verwendeten Materialien sind langzeitstabil und erfolgreiche Verwendung der Linse über eine Milliarde Lebenszyklen wurde getestet.