Autofokus im Fokus, Schnelles Fokussieren mit fokusvariablen Linsen

Datum: Juli 2014
Publiziert von: www.invision-news.de
Download: PDF   

 

  

von Mark Blum

Immer mehr Machine-Vision-Aufgaben erfordern repetitives Fokussieren. Während mechanische Autofokussysteme oftmals bezüglich Geschwindigkeit und Zuverlässigkeit an ihre Grenzen stossen, ermöglichen fokusvariable Linsen ein Fokussieren über grosse Brennweitenbereiche innert Millisekunden und gewährleisten Milliarden von Zyklen. Dank zunehmender Verfügbarkeit von Elektronik und Software ist die Integration von fokusvariablen Linsen so einfach wie noch nie.

Vision ist 3-dimensional

Jedes Kamerasystem hat eine gewisse Tiefenschärfe in der ein Objekt im Fokus erscheint. Zum Beispiel hat ein Objektiv mit 25mm Brennweite und einer F-Zahl von 2.8 in Kombination mit einem Sensor mit 2.2um Pixelgrösse eine Tiefenschärfe von lediglich 20mm bei einem Arbeitsabstand von 1m. Bei hohen Vergrösserungen wird diese Problematik noch offensichtlicher. Bei einer 5-fachen Vergrösserung haben die meisten Systeme eine Tiefenschärfe von weniger als 100um. Die Tiefenschärfe lässt sich zwar durch Schliessen der Blende erhöhen, wobei sich die F-Zahl gegen 16 oder mehr bewegen kann. jedoch erfordert dies eine zusätzliche Beleuchtung und reduziert die laterale Auflösung. Im Beispiel der 25mm Linse lässt sich die Tiefenschärfe von 20mm nur auf etwa 110mm erweitern.

Repetitives Fokussieren wird in vielen Anwendungen erfordert. Beispiele sind 2D Codeleser in Logistik-, Pharma- oder Automobilbranchen, wo Codes auf Objekte diverser Grösse gedruckt werden, Inspektion von optischen Komponenten mit mehreren Oberflächen (z.B. Handykameralinsen) oder das Zählen von Partikeln in einem 3-dimensionalen Flüssigkeitsvolumen. In allen Fällen gilt: je schneller das Fokussieren, desto höher der Durchsatz.

Weniger Mechanik dank fokusvariablen Linsen

In traditionellen optischen Systemen werden zum Fokussieren eine oder mehrere Linsen entlang der optischen Achse verfahren. Dies erfordert Motoren und mechanische Führungen, welche nicht nur Baugrösse und Antwortzeit limitieren sondern auch Robustheit und Lebenszyklen. Heute liefern fokusvariable Linsen einen neuen Freiheitsgrad: die variable Krümmung der Linse (Abb. 1). Eine Änderung des Linsenradius von wenigen Mikrometern kann die gleiche optische Wirkung erzielen wie das Verschieben einer Linse um mehrere Zentimeter. Optische Systeme können somit kompakter, oftmals mit weniger Linsen und ohne translatorische Bewegung designt werden. Teure mechanische Antriebe werden hinfällig. Weniger Bewegung führt auch zu einem robusteren und toleranzinsensitiven Design, welches komplett abgedichtet werden kann, so dass kein Staub eintritt. Des Weiteren sind die eingesetzten Materialien leichter als Glas. Weniger Bewegung und Gewicht bedeutet gleichzeitig, dass die Reaktionszeit von Systemen mit fokusvariablen Linsen sehr gering sein kann, im Bereich von wenigen Millisekunden (Abb. 2).
Eine weitere interessante Eigenschaft fokusvariabler Linsen ist die Verwendbarkeit verschiedener optischen Materialien. Besonders für polychromatische abbildende Optiken bietet sich eine Flüssigkeit mit tiefer Dispersion mit einem Brechungsindex von 1.300 und einer Abbezahl von 100 an. In anderen Worten treten bei solchen Linsen praktisch keine chromatischen Aberrationen auf. Solche fokusvariablen Linsen können also mit handelsüblichen Objektiven zu hochqualitativen Autofokussystemen kombiniert werden, ohne dabei auf zusätzliche Massnahmen zur Farbkorrektor achten zu müssen.

Anwendungsbeispiel: Lesen von 2D Codes

Eine der offensichtlichsten Anwendungen für fokusvariable Linsen ist das Lesen von 2D Codes. Schon heute haben diverse Firmen dafür Flüssiglinsen im Einsatz. Während 1D Codes mit einem Laser gescannt werden können (grosse Tiefenschärfe), erfordert das Lesen von 2D Codes eine Kamera. Die Kamera ermöglicht gleichzeitig zusätzliche Inspektions- und Vermessungsfunktionen. Zudem lassen sich Bilder von nicht gelesenen Codes abspeichern, um diese nachträglich zu analysieren.

Fokusvariable Linsen ermöglichen eine erhebliche Ausweitung des Arbeitsbereichs z.B. von unendlich bis 50mm. Im typischen optischen Aufbau wird die fokusvariable Linse direkt vor einem Objektiv mit fester Brennweite montiert (objektseitig, siehe Abb. 3). Es gibt diverse Prinzipien zur Ansteuerung: Ist die Distanz zum Objekt dem System bekannt, lässt sich der Arbeitsabstand direkt steuern indem die Linse auf die entsprechende Brennweite eingestellt wird (offener Regelkreis). Die Distanzinformation kann entweder von einem Sensor kommen (z.B. Flugzeitmethode) oder von der Tatsache, dass das System durch die Programmierung weiss, was für ein Objekt geprüft wird. In diesem Modus sind Einstellzeiten des Fokus von 5-15ms möglich. Ist die Distanz nicht bekannt, kann die Linse auch in einem Oszillationsmodus betrieben werden. Bei tiefen Frequenzen von z.B. 5 Hz lassen sich mehrere Bilder aufnehmen mit jeweils unterschiedlichen Arbeitsabständen bis ein Code erfolgreich gelesen wurde. Dieser Ansatz ist zwar nicht besonders schnell, aber einfach zu implementieren und es ist auch keine Kalibrierung erforderlich. Bei hohen Frequenzen (bis zu einigen 100Hz) lässt sich währen der Verschlusszeit der ganze Arbeitsbereich durchstimmen. Es resultiert ein Bild mit erweiterter Tiefenschärfe, allerdings bei vermindertem Kontrast, da sich die einzelnen „Bilder“ mit unterschiedlichem Fokus während der Verschlusszeit additiv überlagern. Codes mit gutem Kontrast lassen sich trotzdem ohne weiteres erkennen.

Anwendungsbeispiel: PCB-Prüfung

Bei Anwendungen, welche eine hohe Vergrösserung erfordern, wird die fokusvariable Linse normalerweise zwischen Objektiv und Tubuslinse platziert. Der erreichbare Z-Bereich hängt dabei vom Vergrösserungsfaktor ab. Das in Abbildung 4 beschriebene System erreicht bei einer 5-fachen Vergrösserung einen Z-Bereich von 16mm. Angenommen die Linse wird von einer 12 Bit Stromquelle betrieben (4096 Schritte), ist die axiale Auflösung mit 4um um eine Grössenordnung feiner als die Tiefenschärfe.
Ein Anwendungsbeispiel eines solchen Systems ist die Prüfung von Leiterplatten (PCB). Die meisten Prüfmaschinen bewegen eine Kamera entlang den X- und Y Achsen mit mechanischen Antrieben. Aufgrund von Verzerrungen des PCBs, Ausrichtungsproblemen und Spiel in der Mechanik ist es schwierig über den ganzen Prüfbereich fokussiert zu bleiben. Selbst bei 10-facher Vergrösserung lässt sich mit einer fokusvariablen Linse dank eines Z-Bereichs von 4mm problemlos nachfokussieren. Wiederum kann zur Bestimmung des Arbeitsabstandes ein Sensor verwendet werden, sofern das PCB über das Gesichtsfeld hinweg flach ist. Andernfalls lassen sich mit Autofokusalgorithmen rasch einzelne Bildbereiche scharf stellen.
Das Konzept des “Z-Steppings” mit fokusvariablen Linsen findet auch in der biologischen Mikroskopie Andwendung. Dabei wird die Linse ebenfalls direkt oberhalb des Objektivs platziert. Gute Resultate wurden in der Weitfeld-, Lichtschnitt-, Konfokal-, Phasenkontrast- und 2-Photonen-Fluoreszenzmikroskopie erzielt.

Systemintegration und Kalibrierung

Die vorgestellten fokusvariablen Linsen beinhalten einen elektromagnetischen Aktuator und sind stromgesteuert. Die Brechkraftänderung (in Dioptrien gemessen) verhält sich linear zum eingeprägten Strom, ist reproduzierbar und auch frei von Hysterese. Allerdings variiert die Beziehung von Brechkraft zu Strom einerseits von Linse zu Linse aufgrund von Produktionstoleranzen und andererseits mit Temperaturschwankungen. Um trotzdem eine akkurate Steuerung der Brechkraft zu ermöglichen, enthalten die Linsen von Optotune einen Temperatursensor, auf dem zusätzlich die Kalibrierdaten der jeweiligen Linse gespeichert sind. Mit dem ebenfalls angebotenen Stromtreiber lässt sich somit eine absolute Genauigkeit von typischerweise 0.1 Dioptrien erreichen. Die Kommunikation mit dem Treiber erfolgt über eine USB Verbindung gemäss einem simplen seriellen Protokoll, welches in diversen Programmiersprachen implementiert werden kann (Quellcode in C# und Labview verfügbar). Um die Systemintegration weiter zu vereinfachen arbeitet Optotune mit diversen Kameraherstellern und Machine Vision Softwarefirmen zusammen um eingebaute Autofokusfunktionen anzubieten. Implementierungen von EVT und Sanxo Systems wurden im April an der AIA Vision Show in Boston vorgestellt.