Erfunden ist noch nicht verkauft

Date: March 11, 2008
Published by: NZZ Campus
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Wie die Gewinner des Venture-Ideenwettbewerbs sich auf den Erfolg vorbereiten (von Ronald Schenkel, Bild Christian Beutler)

Alle zwei Jahre führen McKinsey Schweiz und die ETH den Venture-Businessplan-Wettbewerb durch. Im Januar endete die erste Phase mit der Auszeichnung von 10 Business-Ideen. Während einige der Preisträger noch ganz am Anfang einer Start-up-Karriere waren, standen andere kurz vor der Lancierung ihrer Produkte.

Eigentlich ist Manuel Aschwanden Forscher und seine Wirkungsstätte war jahrelang die Nanotechnology Group der ETH Zürich. Vor dem Publikum in der brechend vollen Aula Magna des Polytechnikums trat er Mitte Januar jedoch wie ein versierter Geschäftsmann auf. Aschwanden und sein dreiköpfiges Team gehörten zu den zehn Gewinnern des diesjährigen Venture Businessplan-Wettbewerbs für die besten Geschäftsideen; der Festakt war auch gleich Promoting-Anlass, und für alle Preisträger ging es darum, sich so gut wie möglich zu verkaufen. Das ist Venture: Ein intensives Training in der Schule der Vermarktung, wovon auch Feierstunden nicht ausgenommen sind.

Optotune team

Eine Minute stand Aschwanden zur Verfügung, seinem Publikum die Erfindung, und was er daraus machen möchte, zu vermitteln, eine Minute, um zu erklären, wie er mit seinem ETH-Spin-off Optotune die Technik zu Geld machen möchte, die das Resultat seiner Forschungsarbeit war. Diese Technik scheint geeignet zu sein, die Steuerung optischer Systeme zu revolutionieren. Aschwanden entwickelte ein Verfahren, womit die Brechkraft von Linsen stufenlos variiert werden kann - ganz wie das menschliche Auge. Und tatsächlich ist der Vergleich statthaft, denn das System funktioniert wie ein Muskel, ein künstlicher Muskel: Elektrische Spannung wird an die Linse angelegt, die sich dadurch krümmt. Möglich macht das der Einsatz elektroaktiver Polymere, die ihre Form unter dem Einfluss eines elektrischen Felds ändern können.

So innovativ die Technik, so professionell auch der Auftritt des Erfinders. Und seine  Performance könnte sich bezahlt machen. Eine Venture-Auszeichnung für die Business-Idee ist zwar noch keine Garantie für reissenden Absatz, aber zumindest ein Grund für Investoren, die Entwicklung genauer zu verfolgen. Die Jury zeichnet nämlich keineswegs allein die Originalität einer Idee aus. «Wichtig ist, ob sie sich als tragfähig erweist und einen Kundennutzen bringt», betont Thomas Knecht, Direktor von McKinsey&Company Schweiz und Spiritus Rector von Venture, «wir müssen den Eindruck gewinnen, dass die Start-ups damit Geld verdienen können.» Zusammen mit der ETH Zürich hat McKinsey den Wettbewerb 1996 ins Leben gerufen. 1998 ging seine erste Ausgabe über die Bühne. Fortan wurde der Wettbewerb alle zwei Jahre durchgeführt. Im ersten Venture-Jahr bewarben sich 215 Teams mit ihren Ideen. Heuer wurden 222 Vorschläge eingereicht. Wenn auch die Zahlen nicht weit auseinanderliegen, war 2008 doch nicht alles gleich. Obwohl wiederum drei Forschungsbereiche dominierten - Dienstleistung, Pharma/Biotech/Medizianltechnologie sowie Software -, hat sich das Feld geweitet, aus dem die Ideen stammen. So kamen gegenüber früheren Jahren Geschäftsabsichten aus dem Umweltbereich hinzu, was wohl der aktuellen Diskussion geschuldet sein dürfte, wie Knecht vermutet. Zum andern stammten die Ideen nicht mehr nur aus ETH-Küchen; sie waren in Projekten an verschiedenen Universitäten und auch Fachhochschulen entwickelt worden. Insbesondere fiel die starke Präsenz von Forschern aus der Ecole Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPLF) auf. «Die Romandie hat massiv zugelegt», konstatierte Thomas Knecht. Sie stellt dieses Jahr immerhin rund 30 Prozent der eingebrachten Ideen.

Wie in den Vorjahren besteht auch der Venture-Wettbewerb 2008 aus zwei Phasen, die jeweils mit Preisvergaben abgeschlossen werden. Die Krönung der ersten Phase war die Prämierung der Geschäftsideen, jene der zweiten Phase wird die der Business-Pläne im Mai dieses Jahres sein. Dazwischen bietet Venture den Teilnehmenden ein reiches Angebot an Seminaren und Vorträgen alle rund ums Thema der Geschäftsgründung. Der Erfolg der Venture-Unternehmen darf sich sehen lassen. 175 Firmen wurden gegründet und 2000 Arbeitsplätze geschaffen, verkündet Knecht. Auch überlebte mehr als Dreiviertel der Firmengründungen bisher mehr als fünf Jahre. Darunter sind bekannte Namen wie Tibits, und ehemalige Spin-offs wie GlycArt haben es zu einem schwindelerregenden Wert gebracht: 2005 kaufte Roche das Unternehmen für 235 Millionen Franken.

Davon ist Optotune noch weit entfernt, und der Erfolg fällt weder den ETH-Forschern noch den neun anderen Teams, die an diesem Januarabend ausgezeichnet wurden und ihr Preisgeld von 2500 Franken in Empfang nahmen, in den Schoss. Für diesen Erfolg werden sie im zweiten Teil dieses Business-Fitness-Trainings noch etwas weiter schwitzen müssen, wenn auch auffällt, wie verschieden weit die Teams in der Halbzeit waren.

«Ich stehe noch ganz am Anfang des Abenteuers», sagt Pierre-Jean Wipff von der EPFL. Auch seine Doktorarbeit will er zu einem Geschäft ummünzen, wobei gerade darin die Schwierigkeit liege: «Wie macht man aus einem wissenschaftlichen einen pekuniären Wert?» Wipff gesteht unumwunden, dass er noch viel zu lernen habe auf dem Feld des Marketings und all der anderen Bereiche, die einem Geschäftsmann vertraut, einem Forscher im Bereich von Zellkulturen jedoch so fremd sind wie das Balzverhalten von Pinguinen. «Deshalb besuche ich sämtliche Seminare und Vorträge, die Venture anbietet», betont Wipff, und von diesen gibt es eine eindrückliche Reihe, bei denen die Venture-Teams mit der ersten Garde der Schweizer Unternehmenswelt in Kontakt kommt – McKinsey sei Dank.

Gelernt hatte aber auch Wipff im Hinblick auf die Preisverleihung, dass zuweilen Form vor Inhalt kommt, und so vergass er in seiner Präsentation auch den Humor nicht. Seine Helvalab entwickelt eine Plattform für Zellkulturen, die sich den Eigenschaften der natürlichen Zellumgebung anpassen kann. Das erlaubt den Zellen, sich so zu verhalten, als wären sie zuhause. «Oder wie würden Sie sich fühlen, wenn sie von einem Kingsize-Bett auf den Boden geworfen würden», fragte Wipff sein Publikum. Der Witz sass, und der junge Forscher hatte seinen Anker im Gedächtnis der Anwesenden geworfen.

Für den EPFL-Absolventen ist vor allem ein Angebot der Venture-Veranstalter von zentraler Bedeutung: Der Austausch mit den Coaches von Venture. 200 solcher Business-Trainer sind während der Wettbewerbe im Einsatz. Auch sie stammen aus verschiedenen Geschäftsbereichen. Doch alle haben sie darin ihren Mann oder ihre Frau gestanden, wie etwa Georges Haas, der ehemalige Forschungsleiter der Ciba-Geigy. Haas, inzwischen pensioniert, spricht von seiner Aufgabe als der eines Kindergärtners, wobei das keineswegs abschätzig gemeint sein will. Am Anfang hätten die Forscher eben von Tuten und Blasen keine Ahnung, erklärt er. Was sie jedoch im Laufe des Venture-Wettbewerbs durchliefen, könne als eine Art Mini-MBA angesehen werden.

Die Coaches sind gewissermassen die Sparringpartner der Teams, wie Dirk-Henning Braune, Geschäftsführer von NPX-Semiconductors, ausführt. «Ich hinterfrage die Ideen und die Vorgehensweise, mache auf Fehlendes aufmerksam, ebenso wie ein Investor es machen würde.» Zuweilen sei auch Härte gefragt, macht ein anderer Coach klar. Adrian Kalt von Swisscap hat selbst einmal ein Start-up aufgebaut und kann deshalb aus seiner eigenen Erfahrung sprechen. Die Hilfe der Coaches wird aber sehr unterschiedlich in Anspruch genommen. «Einige sind fast zu stolz, Unterstützung einzufordern, andere verlangen die ganze Aufmerksamkeit», weiss Knut Hackbart, der für das Standortmarketing des Kantons Obwalden zuständig ist. Mitunter brauchen die Teams auch nur Antworten auf ganz bestimmte Fragen. Nicht zuletzt der Patentschutz gibt immer wieder zu reden.

Grundsätzlich aber verweisen die Coaches auf einige zentrale Regeln, die sämtliche Teams verinnerlichen müssten, wenn sie Erfolg haben wollten: Adrian Kalt und Knut Hackbart konstatieren, dass viele Teams Schwierigkeiten damit hätten, sich auf ein Ziel zu fokussieren. Man habe eine gute Idee und sehe tausend Verwendungs-Möglichkeiten. «Das geht so nicht», schütteln die Coaches die Köpfe. Wer sich nicht auf ein Kundensegment konzentriert, dem droht der Untergang - «schon allein aus praktischen Gründen», fügt Hackbart an, «schliesslich hat der Tag nur 24 Stunden.» Gleiches gelte auch für die Wahl des Markts. Wer sich von Anfang an international ausrichten will, dem stehen Übersetzungs- und Werbeaufwand ins Haus. Zu den Grundsätzen, welche die Coaches deshalb vermitteln, gehören die Fragen: Wo besteht ein konkretes Kundenbedürfnis? Wie sieht es mit der Konkurrenz aus? «Schliesslich muss man beweisen, dass man genau in seinem Segment Weltklasse ist», erklärt Haas die Spielregeln im Kampf um Investoren.

Für Optotune standen kurz nach der Preisverleihung diese Fragen im Vordergrund. Das patentierte Produkt liesse sich sowohl im wissenschaftlichen Kontext wie auch auf dem Konsumentenmarkt anbieten. Naheliegend wäre, den rentabelsten anzusteuern. «Irrtum», meint Haas. «Wer nur die Märkte nach ihrem Potenzial abklopft, verrät mir, dass er keine Ahnung hat.» In einer Zeit, da kein Unternehmen einfach nur Technologie kaufe, sondern Start-ups gezwungen seien, mit ihrem eigenen Geld ein Produkt zu entwickeln und zu zeigen, was es könne, müsse man etwas Spektakuläres machen, das gleichzeitig im Rahmen des Möglichen liege , sagt der Coach. Wenn man damit den Beweis für die Einmaligkeit des Produkts erbracht habe, steige auch der Wert des Unternehmens rapide.

Leichter ist es natürlich, wenn man bereits einen Kunden hat, ja, wenn das Produkt auf Anregung eines späteren Abnehmers entwickelt worden ist. Dies ist der Fall bei Faaros. Das ebenfalls ausgezeichnete Start-up will eine Armbanduhr auf den Markt bringen, welche älteren Leuten erlauben soll, länger in den eignen vier Wänden zu leben. Trotzdem soll ihnen schnelle Hilfe in einem gesundheitlichen Notfall gewährt werden. Wie? Mit der Uhr – «einer eleganten, aber auch einfachen Schweizer Uhr», wie Pascal Koenig, Teamleader von Faaros, betont. Die Entwickler stellen sich vor, dass der Träger einerseits selbst mit einem simplen Druck aufs Zifferblatt bei einer Rettungszentrale Alarm auslösen kann. «Die Uhr erkennt andererseits aber auch selbst, wenn etwas nicht stimmt», ergänzt Uhrenmacher und Teammitglied Pascal Stübi. Anstoss für dieses tickende Überwachungsgerät hatte «Schutz und Rettung Zürich» gegeben, das auch als Testorganisation zur Verfügung stehen wird.

Pascal Koenig und der Dritte im Faaros-Bunde, Sven Carlson, sind alles andere als Neulinge auf dem Feld von Firmengründung und der erfolgreichen Entwicklung und Vermarktung von Technologie. Sie gehören zum Führungsteam einer erst 2002 ins Leben gerufenen, auf Überwachungs-Medizin spezialisierten Unternehmung, mit der bereits Patente eingereicht und ein Produkt zur Marktreife gebracht wurden. Gleichzeitig unterstreichen auch sie den Wert des Venture-Anlasses. Nicht zuletzt die Möglichkeit, sich an sogenannten Investors-Days einer Gruppe von 50 Investoren vorzustellen, die immerhin Fonds im Umfang von 6,5 Milliarden Franken repräsentieren, ist Grund genug, dabei zu sein. 

Faaros hat seinen Business-Plan schon weit vorangetrieben. Auch Optotune könnte mit seinem Produkt bald einmal in Produktion gehen. Unter den Gewinnern des Ideen-Wettbewerbs waren aber auch solche, die einen wesentlich längeren Atem brauchen, bis etwas Greifbares vorliegt. Zu ihnen gehören Urs Kessler und Beatrice Pilger, die 2006 an der ETH die PiKe Pharma GmbH gegründet haben. Die beiden wollen sowohl ein neues Medikament gegen Influenza-Erkrankungen auf den Markt bringen, wie eine chemische Plattform anbieten, um Substanzen in noch nie da gewesener Form herzustellen. Urs Kessler hofft, in 3 bis 4 Jahren die ersten Patienten für klinische Studien gewinnen zu können. Bis ein «weisses Pülverchen», also konkrete Medikament auf dem Tisch liegt, dürften sieben bis acht Jahre ins Land gehen.

Doch ebenso wie Faaros oder Optotune hielt die Venture-Jury den Pharma-Start-up für Überlebensfähig. Nicht zuletzt war das auf die Teamzusammensetzung zurückzuführen. Zwar stammen sowohl Kessler wie Pilger aus der Forschung, beide haben sie aber auch Industrieerfahrung. Wichtiger noch ist, dass sich Kessler auch auf dem Gebiet des internationalen Marketings für Pharmaprodukte auskennt. Entsprechend sieht die Arbeitsteilung des Teams aus: Während die Laborarbeit in erster Linie von Beatrice Pilger geleistet wird, konzentriert sich Ulrich Kessler auf das Business.

Wie wichtig die Teamzusammensetzung ist, können die Coaches kaum genug betonen. Der Forscher allein ist ebenso hilflos wie der Marketingspezialist ohne die zündete Idee aus der Wissenschaft. Wem allerdings die Führungsrolle zufalle, dem Entwickler oder dem Vermarkter, das sei sekundär, hört man. Bei Optotune ist es der Wissenschaftler Manuel Aschwanden. Zur Gruppe gehört jedoch in der Person von Mark Blum auch jemand mit Erfahrung aus der Unternehmensberatung. Pascal Koenig von Faaros wiederum ist HSG-Absolventen.

Bloss, einen Chef, der die Entscheidungen fälle, brauche es auf jeden Fall, stellt Georges Haas klar. Basisdemokratisch lasse sich ein Start-up nicht aufbauen. Gleichzeitig gebühre ihnen, die mit ihrem Willen und Mut einer Ideen zum Durchbruch verhelfen wollen, Respekt, beugt Haas sein Haupt. So etwas kann nicht jeder – auch nicht jeder, der am Venture-Wettbewerb teilnimmt.