Künstliches Muskelspiel in der Optik; Das Startup-Unternehmen Optotune hat eine Linse entwickelt, die selbständig fokussiert

Date: April 02 2009
Published by: Neue Zürcher Zeitung
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Von Gordana Mijuk

Der ETH-Spin-off Optotune hat es geschafft, das Auge in einem technischen System mit einer einzigen optischen Linse nachzuahmen. Dafür hat er den ZKB-Pionierpreis erhalten.

ami. Angefangen hat alles mit der Frage, wo man künstliche Muskeln – im Fachjargon spricht man von elektroaktiven Polymeren (EAP) – anwenden kann. Manuel Aschwanden, PhD-Student am Maschinenbaudepartement der ETH, wollte nicht Grundlagenforschung mit den EAP betreiben, sondern etwas Konkretes schaffen. «Unter EAP muss man sich ein Gummiband mit zwei Elektroden vorstellen. Legt man Spannung an, zieht es sich zusammen oder dehnt sich aus. Manuel fragte sich, wo ausser in der Robotik dieser Effekt nutzbar gemacht werden kann», erzählt dessen Geschäftspartner Mark Blum. Aschwanden fand, das Prinzip müsste doch auch in der Optik anwendbar sein, und entwickelte zusammen mit David Niederer, der bei Aschwanden seine Masterarbeit schrieb, eine über EAP steuerbare Linse. Damit gelang ihnen Revolutionäres. Durch das Biegen dieser einen Linse von konkav zu konvex schafften sie es, einen Fokus-Effekt auszulösen. Wie das menschliche Auge ist die Linse in der Lage, nah und fern scharf zu stellen.

Handys im Blick

«Manuel hat mir im Sommer 2007 von seiner und Davids Entwicklung erzählt», so Blum und ergänzt: «Ich war begeistert und dachte gleich: Weshalb macht man das nicht schon lange so?» Blum, der sich nach seinem Elektrotechnik-Studium in einer Beratungsfirma betriebswirtschaftliches Wissen angeeignet hat, sah vor seinem geistigen Auge schon zahlreiche Geschäftsfelder, die man mit solchen steuerbaren Linsen erobern könnte. An erster Stelle stand der riesige Handymarkt. In Handys sind heute zwar standardmässig Kameras eingebaut, sie verfügen aufgrund der beschränkten Grösse des Gerätes jedoch nicht über einen leistungsfähigen optischen Zoom. Die biegbare Linse wird dies möglich machen, da sie im Vergleich zu herkömmlichen Linsen kompakt und preisgünstig hergestellt werden kann. Aschwanden, Blum und Niederer beschlossen, eine Firma zu gründen: Optotune. Mit ins Gründungsteam nahmen sie Peter Vonesch, einen Finanz- und Rechtsexperten. Dann ging alles sehr rasch: Die beiden damals 27-Jährigen Aschwanden und Blum begannen im Januar 2008 mit Marktanalysen und dem Schreiben eines Businessplans. Parallel dazu entwickelte Niederer das Produkt weiter. Im März musste der Businessplan bereits stehen, denn Optotune hatte sich auch gleich für die Teilnahme beim Jungunternehmer-Preis Venture angemeldet. «Ich kann allen Jungunternehmern raten: Knüpft den Businessplan an den Wettbewerb. So läuft man nicht Gefahr, sich zu verzetteln.» Davon konnte bei Optotune keine Rede sein, man gewann auf Anhieb den Preis für die beste Businessidee und räumte auch den Preis für den besten Businessplan ab.

Die Publizität öffnete der Firma auch bei Investoren die Türen. «Man redete mit uns. Und mit einigen klassischen Investoren hatten wir sehr positive Gespräche», erzählt Blum. Zum Abschluss kam es dennoch nicht, da sich Optotune einen Entwicklungsauftrag einer amerikanischen Firma angelte, «welche die Telekombranche beliefert und Erfahrungen mit Millionenstückzahlen hat.» Den Namen des Unternehmens will Blum nicht verraten. Optotune werde mit diesem Partner den ersten optischen Dreifachzoom bauen, der in jedes Handy passt. Um den Entwicklungsauftrag ausführen zu können, ist das 4-köpfige Team auf 13 Personen angewachsen. «Dieser erste Zoom-Prototyp wird für uns entscheidend sein, denn er wird beweisen, dass unsere Linse den hohen Ansprüchen der Industrie genügt», führt Blum aus. Das werde dem Unternehmen den Weg in andere Geschäftsfelder freimachen: Auch medizinische Geräte wie Mikroskope oder Endoskope, Autoscheinwerfer, Beleuchtungssysteme und Kameras aller Art könnten durch die Optotune-Linse verkleinert und weiterentwickelt werden.

Prozess-Geheimnis

Geld verdienen will Optotune mit der Entwicklung des Prototyps sowie mit Lizenzen auf neue Produkte. Selber Millionen von Linsen herstellen will der ETH-Spin-off jedoch zunächst nicht. «Für den Massenmarkt brauchen wir einen Produktionspartner», erklärt Blum. In Dübendorf, wo Optotune heute bei der EMPA Büros und ein Labor hat, will Optotune die Produkte entwickeln und kleinere Serien auch selbst herstellen. Ziel sei es, bis im Jahr 2014 auf 40 Leute zu wachsen. «Wir wollen eine mittelgrosse Entwicklungs- und Produktionsfirma im Raum Zürich sein», sagt Blum. Die meisten aus dem Optotune-Team studierten wie Blum, Aschwanden und Niederer an der ETH. Die Mitarbeiter haben Ausbildungen in Elektrotechnik, Maschinenbau, Chemie oder Materialwissenschaft. Gesucht werden derzeit aber auch Feinmechaniker und Marketingleute. Das heterogene Team widerspiegelt auch die Komplexität des Produktes. Mit Optik-Know-how allein kann die biegbare Linse nicht gebaut werden. – Hat Optotune nicht Angst, dass ein grösserer Player wie Phillips oder Sony die neuen Linsen – plump gesagt – auseinandersägt und imitiert? Damit sei zu rechnen, so Blum. Deshalb seien mehrere Designs patentiert worden. Eine echte Sicherheit könnten die Patente jedoch nicht bieten. Die Firma schützt ihre Idee vor allem, indem sie geheim hält, mit welchen Materialien sie arbeitet und wie der Produktionsprozess abläuft.

Geheim mag das «Rezept» für die Linse sein, Optotune als Firma rückt derzeit aber erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. Gestern ist dem Start-up ein weiterer Preis verliehen worden: der mit knapp 100 000 Franken dotierte «ZKB-Pionierpreis Technopark». Der Preis würdigt technologische Innovationen, die kurz vor dem Markteintritt stehen. Einzelne Linsen gibt es schon, das erste Handy mit einer Optotune-Linse wird Ende 2011 erwartet.